Offener Brief als Antwort auf den Kommentar des RP-Chefredakteurs der Lokalredaktion Krefeld vom 20.06.15 „Neuer Stil und linke Lächerlichkeit“

Sehr geehrter Herr Voss,

wir wollen nicht Ihren Kommentar in der RP vom 20.6.15 im selben Stil beantworten, obwohl die dreiste Polemik dazu reizt.

Den Hinweis auf die These des Journalisten und „Tagesthemen“ Moderators Hans-Joachim Friedrichs erlauben wir uns hingegen:

„Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache.“

Aber einige inhaltliche Korrekturen sind doch angebracht. So wird unsere Position einer sozialen Politik konkreter: Der am 18.6.15 verabschiedete Haushalt ist nicht einmal eine „gute Sache“.

Zunächst aber zum Grundsätzlichen:

Sie scheinen nicht die weltweiten Debatten zum Abbau der Demokratie durch den Neoliberalismus wahrzunehmen. Die Hochschulen können ein Lied davon singen. Der sog. Bolognaprozess bedeutete an den Hochschulen auch einen Ersatz von Demokratie durch Betriebswirtschaft. Die Hochschulen bekamen weniger Geld, jetzt müssen sich Forschung und Lehre „rechnen“ mit den inzwischen bekannten und beklagten Folgen.

Dieser Prozess wurde in Deutschland auch durch die Bertelsmann-Stiftung vorangetrieben.

Dieser neoliberale Angriff richtete sich auch gegen die Kommunen, bis zur weitgehenden Privatisierung der Kommunalverwaltungen etwa in Großbritannien.

In diesem Prozess stecken die Kommunen in Deutschland: Weniger Geld, mehr Aufgaben, mehr Schulden, eine betriebswirtschaftliche Lösung.

Dies ist keine „Komplottheorie“ sondern die Offenlegung eines Angriffs: Der Angriff des Kapitals gegen die demokratischen und zivilen Grundlagen der Gesellschaft.

Nun zu Krefeld:

Durchgängig wurde die Beratung des Haushalts in den zuständigen Ausschüssen von der „Ganz großen Koalition“ verhindert., außer im Ausschuss für Finanzen und im Jugedhilfeausschuss. Interessierte Bürgerinnen blieben ausgeschlossen. Die Vorlagen kamen buchstäblich in letzter Minute, im Rat und im Finanzausschuss.

Welche Interessen mit dieser Entdemokratisierung bedient werden, ist überdeutlich.

Am 23.6.15 präsentierte die „Gemeinde Prüfanstalt NRW“ im Rahmen ihrer „Überörtlichen Prüfung den „Vorbericht der Stadt Krefeld im Jahre 2014“ im Rechnungsprüfungsausschuss. Dieser Bericht ist öffentlich und online. Er zeigt, dass Krefelds Jugendamt seit 2009 jedes Jahr einen Fehlbetrag von 60 Millionen Euro aufweist. Warum? Weil die Bundesregierungen die überaus wichtige Kinder- und Jugendarbeit der Kommunen nur ungenügend finanzieren. Der Fehlbetrag für Sozialleistungen beträgt seit 2009 sogar über 70 Millionen Euro pro Jahr. Die Bundespolitik schafft Armut und gibt den Kommunen nicht einmal ausreichende Gelder zur Linderung unmiitelbaren Elends, eine inhumane Politik. Der kommunale Haushaltsausgleich bleibt bei diesen Rahmenbedingungen eine Illusion. Die „Prüfanstalt“ erwartet keine Besserung: Die Fehlbeträge werden eher steigen als sinken. Eine Lösung sieht die „Prüfanstalt“ auf der Einnahmeseite.

Drei Beispiele für Möglichkeiten, die kommunalen Einnahmen zu steigern, die in Krefeld nicht genutzt werden:

Bei den Gewerbesteuern wird der gemäßigte Vorschlag der Verwaltung jetzt noch „unterboten“. Und bei der Überprüfung der Gewerbesteuern wird auf die gesetzlichen Möglichkeiten der Kommunen verzichtet. Die Verwaltung beschränkt sich auf die „zeitnahe Auswertung der Messbestände“ des Finanzamtes, so steht es im beschlossenen Haushalt.

Dagegen: Die Verwaltung hätte das Recht, von sich aus bereits die Unterlagen der Betriebe zu überprüfen. Das Finanzamt muss dazu nicht befragt werden Das Steuergeheimnis steht dem ausdrücklich nicht entgegen.

Städte im Nothaushalt stellen für diese Überprüfung kommunale Steuerprüfer ein, die damit erhebliche Gewinne für den Haushalt erzielen. In Duisburg etwa ist dies möglich, in Krefeld nicht.

Die Anträge der Fraktion der LINKEN zur Einstellung von kommunalen Steuerprüfern wurden bereits mehrmals im Rat abgelehnt.

Das jüngste Beispiel:Ausschüttungen der städtischen Sparkassen zur Sanierung des Haushalts sind in vielen Städten üblich, nur über die Höhe wird gestritten. In Krefeld wurde darauf verwiesen, dass dies nicht möglich sei: Der Kreis Viersen lehne dies ab. Jetzt war in den Zeitungen zu lesen, nur vier Stimmen waren bei der Aufsichtsratssitzung für eine Ausschüttung. Damit ist überdeutlich, dass auch Krefelder Parteien gegen eine solche Ausschüttung gestimmt haben.

Wenn Sie, geehrter Herr Voss, den jetzt gültigen Haushalt genau lesen würden, wüssten Sie auch,

was auf die Bürgerinnen und Bürger der Stadt zukommt.

Die „Aufbau- und Ablauforganisation städtischer Fachbereiche“ wird durch eine teure „Unternehmensberatung“ entwickelt. Das bedeutet nichts anderes als eine betriebswirtschaftliche Organisation, die vor allem auf Gewinn und Kürzungen setzt. Es wird auch ganz offen von einer möglichen „Standartabsenkung“ geschrieben, von einer „Reduzierung der Öffnungszeiten“, die Bearbeitung durch die Verwaltung wird teurer, die Bearbeitungszeiten werden

dagegen länger. Das alles heißt im Haushalt „Optimierung“, Stellen werden auf Dauer oder auf Zeit nicht mehr besetzt. Schon jetzt klagen die Mitarbeiterinnen der Verwaltung über den zunehmenden „Arbeitsstress“. Im Frühjahr 2015 wurde dagegen auf eine Anfrage der LINKEN behauptet, dies stimme nicht. Die Blindheit gegenüber den Belastungen der MitarbeiterInnen wird bereits jetzt zum Programm.

Eintrittsgelder, ob in Kultureinrichtungen oder in Bäder, Gelder für Kurse etwa an der VHS oder anderen städtischen Einrichtungen werden grundsätzlich teurer. Auch die Schließung von Bädern oder Sportstätten wird nicht mehr ausgeschlossen.

Vereine und Verbände müssen sich jetzt darauf einstellen, dass die Stadt“marktübliche“ Mieten erheben wird, Betriebswirtschaft statt Kommunalpolitik.

Die Bürgerinnen und Bürger werden den neuen Haushalt gleich vor ihrer Haustür erleben

Für die Straßen gilt:

„Die Umsetzung eines ausreichenden und wirtschaftlichen Erhaltungsprogramms ist zurzeit aufgrund der Haushaltslage nicht möglich.“

Eine Folge unter anderem: Die Prioritätensetzung auf den Ausbau von Radwegen wird aufgegeben.

Das alles sind Kürzungen.

Da im Herbst die OB Wahlen anstehen, hat sich die „Riesen große Haushaltskoalition“ bemüht, die Bürgerinnen und Bürger für dumm zu verkaufen.

Besonders deutlich bei den KITA Gebühren. In diesem Wahljahr wird nicht erhöht, aber dann, ab 2016 sehr wohl. Oder: „Essen auf Rädern“ gibt es doch noch, aber der Zuschuss wird auf über die Hälfte gegenüber 2013 gekürzt. In vielen Bereichen

bleiben die Kürzungen auf der Basis der für 2013 oder 2014 beschlossenen Kürzungen bestehen.

Die völlig unzureichende Aufstockung des „Ansatzes Straßenunterhaltung“ wird am maroden Zustand der öffentlichen Wege nichts ändern und dient nur der Wählertäuschung.

Die Studierenden mit Zweitwohnsitz in Krefeld gehen nicht wählen, da kann gleich eine „Zweitwohnungssteuer“ erhoben werden. Der ASTA der Hochschule hat dagegen protestiert und darauf verwiesen, dass Krefeld schon jetzt nicht unbedingt für Studierende wohnenswert sei.

Es liegt in der betriebswirtschaftlichen Logik, dass im beschlossenen Entwurf der scharz-rot-grünen „Riesen großen Haushalts-Koalition“

zu lesen ist:

„Erfassung aller bebauten und unbebauten Immobilien der Stadt Krefeld mit dem Ziel des Verkaufs“

Dieser Verkauf des Eigentums aller Krefelderinnen und Krefelder soll, wo immer dies nach Meinung der „Großparteien“ möglich ist, Jahr für Jahr Millionen einbringen, bis zu 3.000.000 allein im Jahr 2020.

Die Reaktion der neoliberalen Haushaltspoltik steht für die Entdemokratisierung der Krefelder Haushaltspolitik. Im TINA („There is no alternative“ ) - Modus kommentierten die Fraktionsvorsitzende der CDU, SPD und Grünen unsere Ablehnung ihrer Gebührenerhöhungs-, Kürzungs- und Verkaufspolitik mit verschiedenen unsachlichen Worten. Nur der passende Begriff fiel nicht: Opposition

Sehr geehrter Herr Voss, der Leidensweg der städtischen Demokratie könnte noch über Seiten fortgesetzt werden.

Wir werden Sie nicht überzeugt haben, das widerspräche der vorherrschenden Ideologie, die sich als Realität verkleidet.

Aber wir freuen uns auch weiterhin auf Ihre Beiträge, die uns Gelegenheit geben, über diesen Haushaltsbetrug aufzuklären.

Übrigens: Gegeneinander ausspielen, wie Sie es in Ihrem Kommentar versuchen, funktioniert bei der LINKEN nicht. Hier wird offen diskutiert und demokratisch entschieden.

Mit freundlichen Grüßen

Basri Cakir, Julia Suermondt, Stephan Hagemes

Ratsfraktion der LINKEN im Rat der Stadt Krefeld